70 Jahre Grundgesetz und die Zukunft der Folkmusik hier bei uns (Hinrich Langeloh)
Die Bewahrung und Förderung der Kultur ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt worden. Welche Gründe es damals gab, dieses nicht mit aufzunehmen, sind mir unbekannt, aber vielleicht wollte man keine Auseinandersetzung darüber, was deutsche Kultur sei. Kulturförderung wurde stattdessen in den Bereich der Länder gegeben. Daher gibt es auch kein Kulturministerium in Berlin, sondern nur eine Staatsministerin für Kultur und Medien, die direkt der Bundeskanzlerin untergeordnet ist. Zur Zeit ist dies Frau Monika Grütters.
In den Ländern wiederum gibt es Kultursenatoren oder -minister, wie auch in Schleswig-Holstein mit Karin Prien, die allerdings auch für Bildung und Wissenschaft zuständig ist. Überall haben es die Kulturminister sehr schwer, weil bei klammen Finanzen immer zuerst bei der „überflüssigen“ Kultur gespart wird.
In Sachen Musik gibt es in den Ländern einen Landesmusikrat (LMR), der gegenüber den Kulturministerien die Belange der Musik vertreten soll. Auf der Bundesebene gibt es den Deutschen Musikrat (DMR), der gegenüber der Bundesregierung die Belange der Musik vertritt. Die grundsätzlichen Leitlinien des DMR klingen auch sehr vernünftig, wenn es u.a. heißt:
Die Kulturelle Vielfalt bildet das Fundament des Kulturlandes Deutschland und ist damit von grundlegender Bedeutung für die musik- und gesellschaftspolitische Arbeit des Deutschen Musikrates. Kulturelle Vielfalt ist die zentrale Voraussetzung für das Erkennen und Verstehen des je Eigenen und des je Anderen, denn ohne Kulturelle Vielfalt ist die interkulturelle Kommunikation nicht bzw. nur sehr eingeschränkt möglich. Das Ziel, adäquate Rahmenbedingungen für den Erhalt und Ausbau der Kulturellen Vielfalt zu schaffen, setzt ein Bewusstsein für den Wert der Kreativität und die Bedeutung der Kulturellen Vielfalt für nahezu alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens voraus. Eine Kultur- und Musikpolitik, die ihre Arbeit in diesen gesellschaftspolitischen Zusammenhang stellt, kann mit dazu beitragen, die Begegnung - und damit Integration - in das Zentrum menschlichen Zusammenlebens zu rücken.
In der Praxis jedoch beschränkt die kulturellen Vielfalt sich auf Klassik, Jazz und ein klein wenig Pop. Folk spielt beim DMR keine Rolle. Dabei ist zum Beispiel im 2. Berliner Appell des DMR an die Bundesregierung unter dem Motto „Wer das je Eigene nicht kennt, kann das je Andere nicht erkennen - 12 Thesen zum interkulturellen Dialog“ schon 2006, also vor der großen Flüchtlingszeit um 2015, formuliert worden:
„Der Dialog der Kulturen ist ohne die jeweils eigene selbstbewusste Standortbestimmung nicht möglich. Die Musik ist in ihren vielfältigen Ausdrucksformen als barrierefreies Medium kultureller Identitätsfindung und des interkulturellen Dialoges in besonderer Weise dafür prädestiniert.“
Das klingt in meinen Ohren vorbildlich und sehr gut durchdacht, aber ich fürchte, dass im DMR die Meinung vorherrscht, unsere Musikkultur sei in erster Linie die Hochkultur der Klassik, dann vielleicht noch mit einigem Abstand Jazzmusik und ein wenig Pop. Würde man es ernst meinen mit „kultureller Identitätsfindung“ müsste zumindest auch die klassische Deutsche Volksmusik, die im 19. Jahrhunderts gesammelt wurde, eine Rolle spielen. Tut sie aber nicht und stattdessen wird das Deutsche Volksliedarchiv ohne großen Widerstand des DMR umgewandelt in ein Institut für Popmusik. Wie ich auf der letzten Sitzung des Landesmusikrates S-H erfahren durfte, wird Folk inzwischen hier bei uns auch unter Popmusik subsummiert. Ich weiß nicht, ob uns das weiterbringt, bzw. ob ich das gut finden soll.
Was gilt es daraus zu folgern ?
Wenn wir die Akzeptanz der Folkmusik auch ohne Förderung der Kultur im Grundgesetz voranbringen wollen, dann sollten wir auch bei solchen Gremien wie Landesmusikrat und Deutschen Musikrat aktiv werden und sie mit ihren eigenen Erklärungen und Appellen konfrontieren. So gibt es z.B. im DMR schon ein Popcamp, was allerdings das fragwürdige Konzept hat, noch mehr Popbands für die Markt auszubilden. Aber warum sollte man dann nicht auch ein Folkcamp einfordern, auf dem Jugendliche von professionellen Lehrern Folkmusik aus Deutschland und anderswo lernen. Hier im Lande machen wir von der LAG Folk jetzt schon zum zweiten Mal ein Jugendfolkwochenende auf dem Scheersberg, in Dänemark z.B. gibt es die ROD-Bewegung, die jedes Jahr ein Jugendfolktreffen in Tondern mit über 100 Teilnehmer*innen macht.
Weiterhin gibt es ein klassisches Bundesjugendorchester und Jugend jazzt im DMR und auch hier wäre ein Bundesjugendfolkorchester nicht verkehrt, obwohl bisher noch der Unterbau der Landesjugendfolkorchester fehlt. Dies fehlt leider auch noch in Schleswig-Holstein, weil das Folkbalticaensemble von Harald Haugaard eher ein dänisches Jugendorchester ist. Auch besonders die Beschäftigung mit unserer deutschen Folkmusik muss dringend intensiviert werden, damit der jugendliche Nachwuchs nicht immer auf irische Musik o.ä. Ausweichen müssen, weil es angeblich bei uns keine lebendige Volksmusik gibt. Letztlich fehlt uns noch eine professionelle Folklehrerszene hier in Deutschland, die unsere eigene Folkmusik unterrichten könnte. Da hätten wir aber die nordischen Ländern als Vorbild, wo Folkmusik auch an den Musikhochschulen studiert werden kann. Jedes Jahr gibt es dort exzellent ausgebildete Folkmusiker und Pädagogen, die mit Einflüssen aus Klassik, Pop und Jazz die Volksmusik studiert haben und neue Gruppen bilden und ihr Wissen weitergeben. Auch auf diesem Gebiet sollten wir hier bei uns am Ball bleiben, damit in den nächsten 70 Jahren der Existenz des Grundgesetzes sich die Folkmusik bei uns weiterentwickelt.
Letztlich sollte aber nicht vergessen werden, dass Folkmusik trotz aller möglicher Professionalisierung auch eine starke Laienmusik-Bewegung ist und bleibt. Es soll Spaß machen zusammen zu musizieren in Sessions usw. und nicht alles muss gleich auf einer Bühne enden. Das Musizieren um des Musizierens willen muss wieder an Bedeutung gewinnen und dabei ist die Folkmusik ohne große Voraussetzungen an musikalischen Kenntnissen und ohne Kabel und Verstärkeranlage eine der wichtigsten Musikformen in unserer Gesellschaft. Das sollten wir uns immer vergegenwärtigen und der Dominanz von Klassik und Pop jederzeit offensiv entgegenhalten.
Hier gibt es weitere Infos zum Download:
-- Musikförderung des Bundes 2019
-- Jahrbuch des Deutschen Musikrat 2018/2019
-- Deutscher Musikrat: 2.Berliner Appell - 12 Thesen zum interkulturellen Dialog
-- Grünbuch des LMR und Antwort der LAG